Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen

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2. Preis beim bundesweiten Schreibwettbewerb für Pauline Wiederer

Die zwölfjährige Schülerin nahm im letzten Schuljahr am Schreibwettbewerb zur „Schönen deutschen Sprache“ der „Neuen fruchtbringenden Gesellschaft“ zu Köthen statt. Die Siebtklässlerin überzeugte die Jury, die Schülertexte aus ganz Deutschland zum Thema „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“ bewertete. Die Erzählung der überaus kreativen Schülerin wurde in einer Anthologie veröffentlicht und mit folgendem Vorwort eingeleitet:

„Die Fürsorge für die traurige kleine Schwester bringt die Ich-Erzählerin dazu, über ihre eigenen Ansprüche an Perfektion nachzudenken. In einer in sich geschlossenen Handlung erleben die Schwestern einen Nachmittag, in dem sie bewusst erfahren, dass alles Können vom Üben abhängt. Stimmungsvolle Naturschilderungen und der Einsatz der wörtlichen Rede verleihen Lebendigkeit und runden die anrührende Geschichte ab, in der auch genüsslich Walnuss-Schoko-Muffins gemümmelt werden…“

Perfekt

Meine Füße trugen mich weiter heimwärts. Links, rechts, links, rechts. Im Takt zur Musik, die aus meinen Kopfhörern drang. Es war früher Nachmittag und die Sonne hatte immer noch nicht den Weg hinter den Wolken hervor gefunden. Bei jedem Schritt knirschte mein Schuh auf dem Schotterweg, der noch etwas nass vom Regen war, genauso wie ich mit meinen Zähnen, wenn ich an die verhauene Deutschschulaufgabe dachte. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, dass ich mittlerweile schon mein Ziel erreicht hatte. Ich schaute mich um und entdecke das Fahrrad meiner kleinen Schwester, das einsam unter der großen Trauerweide lag. Ich hob es auf und rief nach ihr: „Mina? Wo bist du? Alles okay bei dir?“ Ich hörte ein leises Schluchzen und rannte in die Richtung, aus der es kam. Da erblickte ich sie auch schon. Weinend kauerte sie an der Wand in der Nähe ihres Lieblingsplatzes. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich sie so sah. Ich sprintete zu ihr und nahm sie fest in den Arm. „Och Mina, was ist passiert? Okay, warte, jetzt beruhig dich erstmal und dann erzählst du mir alles.“ Nach weiteren Schniefern konnte sie wieder einigermaßen normal reden, sodass sie dann mit der Sprache herausrückte. „Weißt du, alle können Fahrradfahren, nur ich nicht! Sogar Klara, meine Freundin, hat mich ausgelacht. Sie hat auch gemeint, dass sie nicht mehr mit mir befreundet sein will, wenn ich nicht Fahrradfahren kann. Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll, ich schaff ́s einfach nicht.“, erklärte sie mir niedergeschlagen. „Und bei deinen Versuchen, es zu lernen, hast du dir das Knie aufgeschürft?“, fragte ich vorsichtig. „Ja“, kam es kleinlaut von ihr. „Keine Sorge, ich zeig dir gleich Schritt für Schritt, wie es ganz sicher funktioniert. Mach dir keinen Kopf, alle fangen mal klein an. Niemand kann etwas gleich aufs erste Mal und das muss auch keiner. Nichts muss sofort perfekt sein, auch du musst nicht perfekt sein. Niemand muss das.“, sagte ich und wurde bei meinen letzten Sätzen immer leiser. Das sagte ausgerechnet ich, wobei ich das selbst manchmal vergaß: Sich selbst zu akzeptieren mit all seinen Fehlern, Stärken und Schwächen. Schnell schüttelte ich den Kopf, um wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren und fügte noch hinzu: „Wenn Klara eine echte Freundin ist, würde sie dich annehmen, so wie du bist. Meinst du nicht auch?“ Mit diesen Worten, über die ich selbst überrascht war, nahm ich ihre Hände und zog sie auf die Beine. Derweilen lachte nun auch die Sonne vom Himmel herab und schien warm auf unsere Gesichter, sodass wir blinzeln mussten. Nachdem ich ihr erstmal theoretisch alles erklärt hatte, schnappte Mina sich ihr Rad und stieg mit neu gewonnener Zuversicht auf. Erst hielt ich sie noch am Gepäckträger fest und lief hinter ihr her, aber als sie immer sicherer wurde und ich fast nicht mehr hinterherkam, lies ich sie los und sie fuhr ganz allein weiter. „Super! Schau, du kannst es doch!“, rief ich ihr nach. Mina strahlte übers ganze Gesicht, als sie abbremste und mich fest umarmte. Da musste ich auch lachen und mir kam ein Gedanke: „Wollen wir eine Fahrradtour machen? Wir können uns auch die Muffins, die wir gestern gebacken haben, mitnehmen!“ „Ja!“, kam es begeistert zurück. Wir packten die Muffins ein, schnappten

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unsere Mountainbikes, schwangen uns in den Sattel und radelten sofort los. Der Fahrtwind wirbelte meine Haare durcheinander und Bienen summten in den Wiesen mit den Hummeln um die Wette. Kornblumen, Mohn und Raps, Blüten in den unterschiedlichsten Farben und Formen, wiegten sich sanft auf den Feldern. Wir fuhren durch eine Siedlung und in einem Garten spielten ein Junge und ein Mädchen Basketball. Die Beiden freuten sich gerade riesig, denn sie hatten einen Korb geworfen. Aus einem anderen, blauen Haus hörte man ziemlich schiefe Töne. „Uh, das klingt ja gar nicht gut!“, rief Mina aus. Kurz darauf fügte sie hinzu: „Aber man muss eben alles erst lernen und vielleicht ist ja auch das Instrument verstimmt.“ Ich stimmte ihr nickend zu. Wir radelten noch eine Weile und plötzlich fragte Mina verzweifelt in die Stille, in der nur die Reifen auf dem Asphalt und die zwitschernden Vögel in den Bäumen zu hören waren, hinein: „Wieso bist du so schnell? Du sitzt gemütlich auf deinem Fahrrad, während ich dagegen irgendwie fast nicht vom Fleck komme. Wie schaffst du das nur?“ „Durch ganz viel üben. Übung macht den Meister! Ich fahre ja schon viel länger Rad als du und wenn du erst genug gefahren bist, wirst du vielleicht sogar schneller sein als ich. Schnelligkeit kommt nämlich von ganz allein.“, antwortete ich. „Wirklich?“, hakte sie noch nicht ganz überzeugt nach. „Wirklich.“ „Können wir dann mal eine Pause machen? Meine Beine tun schon weh.“, maulte sie bald. „Ja klar“, antwortete ich, „Wir können uns im Park hinsetzen und den Sonnenuntergang ansehen. Danach haben wir auch nicht mehr weit bis nach Hause. Willst du?“ Sie nickte: „Mhm.“ Also holte ich die Picknickdecke, die ich immer dabeihatte, aus meinem Gepäckträgerkorb und breitete sie auf der satt- grünen Wiese aus. Wir ließen uns nieder und mümmelten genüsslich unsere Walnuss- Schoko-Muffins. Den Brösel, der an meinem T-Shirt festhing, schnipste Mina lachend weg. Bald schon betrachteten wir gebannt, wie der Feuerball glühend hinterm Horizont versank. Von Gelb über Orange und Rot bis zu einem leichten Rosa zeichneten die Farben des Spektakels, das wie gemalt aussah, einen wunderschönen Verlauf. Kleine Schäfchenwolken wanderten wie Zuckerwattefetzen über den Himmel und wurden vom strahlenden Perlenlicht der Sonne so angeleuchtet, dass sie orange-rosa wie schillernde Tropenvögel erschienen. Auch die ersten Sterne waren schon zu sehen und kontrastierten mit dem immer dunkler werdenden Himmel. Auf einmal flatterte unbeholfen eine kleine Blaumeise von dem großen Ahornbaum auf eine noch etwas sonnenbeschienene Steinmauer herab. Der leichte Wind bauschte ihr weiches Gefieder auf und die Umgebung spiegelte sich in den schwarzen Knopfaugen des Vögelchens. Nachdem es sich ausgiebig geputzt hatte, wagte es weitere Flugversuche. Und siehe da! Nach ein paar Minuten flog es wie eine Eins auf und davon in den Sonnenuntergang hinein, bis es nur noch als kleiner, dunkler Punkt in der Ferne zu erkennen war.

Meine Füße trugen mich weiter heimwärts. Links, rechts, links, rechts. Im Takt zur Musik, die aus meinen Kopfhörern drang. Es war früher Nachmittag und die Sonne hatte immer noch nicht den Weg hinter den Wolken hervor gefunden. Bei jedem Schritt knirschte mein Schuh auf dem Schotterweg, der noch etwas nass vom Regen war, genauso wie ich mit meinen Zähnen, wenn ich an die verhauene Deutschschulaufgabe dachte. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte, dass ich mittlerweile schon mein Ziel erreicht hatte. Ich schaute mich um und entdecke das Fahrrad meiner kleinen Schwester, das einsam unter der großen Trauerweide lag. Ich hob es auf und rief nach ihr: „Mina? Wo bist du? Alles okay bei dir?“ Ich hörte ein leises Schluchzen und rannte in die Richtung, aus der es kam. Da erblickte ich sie auch schon. Weinend kauerte sie an der Wand in der Nähe ihres Lieblingsplatzes. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich sie so sah. Ich sprintete zu ihr und nahm sie fest in den Arm. „Och Mina, was ist passiert? Okay, warte, jetzt beruhig dich erstmal und dann erzählst du mir alles.“ Nach weiteren Schniefern konnte sie wieder einigermaßen normal reden, sodass sie dann mit der Sprache herausrückte. „Weißt du, alle können Fahrradfahren, nur ich nicht! Sogar Klara, meine Freundin, hat mich ausgelacht. Sie hat auch gemeint, dass sie nicht mehr mit mir befreundet sein will, wenn ich nicht Fahrradfahren kann. Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll, ich schaff ́s einfach nicht.“, erklärte sie mir niedergeschlagen. „Und bei deinen Versuchen, es zu lernen, hast du dir das Knie aufgeschürft?“, fragte ich vorsichtig. „Ja“, kam es kleinlaut von ihr. „Keine Sorge, ich zeig dir gleich Schritt für Schritt, wie es ganz sicher funktioniert. Mach dir keinen Kopf, alle fangen mal klein an. Niemand kann etwas gleich aufs erste Mal und das muss auch keiner. Nichts muss sofort perfekt sein, auch du musst nicht perfekt sein. Niemand muss das.“, sagte ich und wurde bei meinen letzten Sätzen immer leiser. Das sagte ausgerechnet ich, wobei ich das selbst manchmal vergaß: Sich selbst zu akzeptieren mit all seinen Fehlern, Stärken und Schwächen. Schnell schüttelte ich den Kopf, um wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren und fügte noch hinzu: „Wenn Klara eine echte Freundin ist, würde sie dich annehmen, so wie du bist. Meinst du nicht auch?“ Mit diesen Worten, über die ich selbst überrascht war, nahm ich ihre Hände und zog sie auf die Beine. Derweilen lachte nun auch die Sonne vom Himmel herab und schien warm auf unsere Gesichter, sodass wir blinzeln mussten. Nachdem ich ihr erstmal theoretisch alles erklärt hatte, schnappte Mina sich ihr Rad und stieg mit neu gewonnener Zuversicht auf. Erst hielt ich sie noch am Gepäckträger fest und lief hinter ihr her, aber als sie immer sicherer wurde und ich fast nicht mehr hinterherkam, lies ich sie los und sie fuhr ganz allein weiter. „Super! Schau, du kannst es doch!“, rief ich ihr nach. Mina strahlte übers ganze Gesicht, als sie abbremste und mich fest umarmte. Da musste ich auch lachen und mir kam ein Gedanke: „Wollen wir eine Fahrradtour machen? Wir können uns auch die Muffins, die wir gestern gebacken haben, mitnehmen!“ „Ja!“, kam es begeistert zurück. Wir packten die Muffins ein, schnappten

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unsere Mountainbikes, schwangen uns in den Sattel und radelten sofort los. Der Fahrtwind wirbelte meine Haare durcheinander und Bienen summten in den Wiesen mit den Hummeln um die Wette. Kornblumen, Mohn und Raps, Blüten in den unterschiedlichsten Farben und Formen, wiegten sich sanft auf den Feldern. Wir fuhren durch eine Siedlung und in einem Garten spielten ein Junge und ein Mädchen Basketball. Die Beiden freuten sich gerade riesig, denn sie hatten einen Korb geworfen. Aus einem anderen, blauen Haus hörte man ziemlich schiefe Töne. „Uh, das klingt ja gar nicht gut!“, rief Mina aus. Kurz darauf fügte sie hinzu: „Aber man muss eben alles erst lernen und vielleicht ist ja auch das Instrument verstimmt.“ Ich stimmte ihr nickend zu. Wir radelten noch eine Weile und plötzlich fragte Mina verzweifelt in die Stille, in der nur die Reifen auf dem Asphalt und die zwitschernden Vögel in den Bäumen zu hören waren, hinein: „Wieso bist du so schnell? Du sitzt gemütlich auf deinem Fahrrad, während ich dagegen irgendwie fast nicht vom Fleck komme. Wie schaffst du das nur?“ „Durch ganz viel üben. Übung macht den Meister! Ich fahre ja schon viel länger Rad als du und wenn du erst genug gefahren bist, wirst du vielleicht sogar schneller sein als ich. Schnelligkeit kommt nämlich von ganz allein.“, antwortete ich. „Wirklich?“, hakte sie noch nicht ganz überzeugt nach. „Wirklich.“ „Können wir dann mal eine Pause machen? Meine Beine tun schon weh.“, maulte sie bald. „Ja klar“, antwortete ich, „Wir können uns im Park hinsetzen und den Sonnenuntergang ansehen. Danach haben wir auch nicht mehr weit bis nach Hause. Willst du?“ Sie nickte: „Mhm.“ Also holte ich die Picknickdecke, die ich immer dabeihatte, aus meinem Gepäckträgerkorb und breitete sie auf der satt- grünen Wiese aus. Wir ließen uns nieder und mümmelten genüsslich unsere Walnuss- Schoko-Muffins. Den Brösel, der an meinem T-Shirt festhing, schnipste Mina lachend weg. Bald schon betrachteten wir gebannt, wie der Feuerball glühend hinterm Horizont versank. Von Gelb über Orange und Rot bis zu einem leichten Rosa zeichneten die Farben des Spektakels, das wie gemalt aussah, einen wunderschönen Verlauf. Kleine Schäfchenwolken wanderten wie Zuckerwattefetzen über den Himmel und wurden vom strahlenden Perlenlicht der Sonne so angeleuchtet, dass sie orange-rosa wie schillernde Tropenvögel erschienen. Auch die ersten Sterne waren schon zu sehen und kontrastierten mit dem immer dunkler werdenden Himmel. Auf einmal flatterte unbeholfen eine kleine Blaumeise von dem großen Ahornbaum auf eine noch etwas sonnenbeschienene Steinmauer herab. Der leichte Wind bauschte ihr weiches Gefieder auf und die Umgebung spiegelte sich in den schwarzen Knopfaugen des Vögelchens. Nachdem es sich ausgiebig geputzt hatte, wagte es weitere Flugversuche. Und siehe da! Nach ein paar Minuten flog es wie eine Eins auf und davon in den Sonnenuntergang hinein, bis es nur noch als kleiner, dunkler Punkt in der Ferne zu erkennen war.