Nele Scharf (7a) hat einen historischen Fortsetzungsroman begonnen und wird alle paar Wochen ein neues Kapitel online stellen. Taucht mit der Titelheldin Delia in die Welt der Antike ein …
Kapitel 1
„Ich bin noch nicht bereit dafür, dass du gehst“, flüsterte mir meine Mutter zu, als sie mein Gewand zurechtrückte. Darauf lächelte ich nur und betrachtete mich in meinem kleinen kugelförmigen Glasspiegel. „Danke, Mama!“, wir schlangen noch einmal die Arme umeinander und verabschiedeten uns voneinander. Mein ganzes Leben habe ich auf diesen Moment gewartet. Endlich haben mich die Leute aus meinem Volk zur neuen Pythia erwählt! Endlich werde ich dem bezauberndsten aller Götter dienen: Apollo! Ich hatte mich mit meinen siebzehn Jahren mit niemandem eingelassen und mich immer über die neuesten Geschichten informiert, die mit dem Orakel oder mit den Göttern zu tun hatten. Auch wenn ich meine zwei Brüder und meine Eltern vermissen werde, freue ich mich schon unglaublich darauf, als Priesterin zu arbeiten. Vor zwei Tagen wurde ich geweiht und von meinem Dorf gefeiert. Anders als die meisten Mädchen habe ich mir meinen Körper aufgespart, um Apollos Werkzeug für uns Menschen zu sein. „Jetzt geh schon! Wir sehen uns morgen wieder!“ Sie schenkte mir noch einmal ein warmes Lächeln, bevor ich mich aufmachte, um meinen ersten Tag als Priesterin zu bestehen.
Alle Menschen, egal wie hochrangig, begrüßten mich und lächelten mir zu. Wahrscheinlich, um die Gunst meines Lieblingsgottes zu erlangen. Ich bezweifle aber, dass das so funktioniert. Plötzlich erfüllte ein Wärmestrahl meinen Körper, wie ich ihn bei meiner Weihe schon gespürt hatte. So als würde ich beschützt werden von allem Bösen auf dieser Welt. Dieses Gefühl war wunderbar. Ein Oberpriester unterbrach meine Gedanken: „Sie wissen, was Sie zu tun haben?“, ich nickte und wartete darauf, dass er eine Ziege holte, um zu testen, ob uns Apollo heute behilflich sein würde. Nun reichte ihm ein deutlich jüngerer Geistlicher eiskaltes Wasser. Er nahm den Krug und schüttete es über das arme Geißlein, das zusammenzuckte. „Kommt herein, der Gott ist heute mit uns!“ Zwei männliche Priester zeigten mir den Weg zur heiligen Quelle Kastalia, in der ich mich waschen musste, um rein zu sein. Eigentlich hätte es mir unangenehm sein müssen, aber die Empfindung von Schutz, der seit dem Wärmestrahl in mir weilte, war immer noch nicht von mir gewichen, weshalb ich ohne Scham vor den beiden Männern baden konnte. Nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen hatte, reichten die beiden mir das Wasser aus der Quelle Kassotis, welches ich dankend annahm und ein paar Schlucke davon trank. Es war erfrischend, köstlich und so rein wie ich mich fühlte. Nachdem ich meinen Durst gelöscht hatte, marschierte ich mit den beiden Priestern zügig zum Haupttempel, wo mich schon zwei Oberpriester und der Fünfmännerrat erwarteten. „Wir müssen uns beeilen, die Ziege ist schon längst geschlachtet und die Leute wollen endlich ihre Prophezeiung erfahren!“ Daran hatte ich noch nicht gedacht! Was passiert, wenn mir Apollo nichts einsagt? Was werde ich dann tun? Mit einem Kopfschütteln wedelte ich alle meine Sorgen ab und konzentrierte mich nur noch auf die bevorstehende Aufgabe.
Der Tempel war an den Fels gebaut. Wir standen vor zwei riesigen Toren und mein Herz raste. Als die Portale geöffnet wurden, war ich vom Anblick des Tempelinneren überwältigt. Der Raum war mit eindrucksvollen Statuen geschmückt. Säulen ragten um den Hestia-Altar zur Decke hinauf, die Erdspalte war mit goldenen Linien versehen, damit sie jeder erkennen konnte. Es war einfach überwältigend! „Bitte setzen Sie sich!“, wisperte mir einer der Priester zu. Ich folgte seiner Anweisung und setzte mich auf dem goldenen Dreifuß, der über die Erdspalte, aus der stetig Dämpfe entwichen, gestellt worden war. Sofort berauschten und umhüllten mich die Dämpfe, die von unten aufstiegen. Mein Kopf dröhnte, aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Eine Person kam in den Raum. Es war ihr anzumerken, dass sie sehr wohlhabend und einflussreich war. Der Mann trug ein lilafarbenes Gewand, das nur mit dem Sekret einer bestimmten Schneckenart gefärbt werden kann und deshalb sehr teuer ist. „Pythia! Oh Werkzeug Apollos! Sollte ich versuchen mein Reich zu vergrößern?“ Ich streckte die Arme mit den Handflächen nach oben aus, wie ich es schon so oft gesehen hatte und rief Apollo um Hilfe an. Ein paar Sekunden passierte gar nichts. Als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte, wurde das Gefühl von Schutz noch größer. Reflexartig drehte ich meinen Kopf, um die Person zu erkennen. Ohne ihr ins Gesicht zu blicken, erkannte ich wer es war. Diese unglaublichen Muskeln, die sich unter dem Chiton abzeichneten. Die wunderschönen blond- braunen Wellen, die ihm weich auf die Schultern fielen. Seine göttliche Aura machte mich verrückt! Äußerlich starrte ich den Gott nur an, aber innerlich sehnte sich mein Herz sofort nach ihm. Seine raue Stimme begann: „Nimm nicht zu viel! Du musst dich zwischen Liebe und Erfolg entscheiden!“ Natürlich bemerkte ich sofort, dass er nicht zu mir sprach, denn er sah mich nicht einmal an. Ich gab seine Worte jedoch genauso wieder. Der Mann, den ich nur noch verschwommen wahrnehmen konnte, nickte und verließ dann den Tempel. Meine Augen ruhten unverzüglich wieder auf meinem Gott. Als ich diesmal zu ihm aufblickte, waren seine durchdringenden hellbraunen Augen direkt auf mich gerichtet, was mich erröten ließ. Er war einfach perfekt! Kein Makel war an seinem Körper zu erkennen. Seine Haare umspielten sein spitz zulaufendes sonnengebräuntes Gesicht. Seine Nase war normal groß und gerade. Das schönste aber waren seine Augen, seine leuchtenden bernsteinfarbenen Augen, die in die Seele eines Sterblichen hineinblicken konnten. Sie machten sein makelloses Gesicht zu einem göttlichen. „Du bist neu!“